Verstehe das Wunder deines Körpers und seiner Selbstregulation
Leben ist das was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen. John Lennon
Ich gehe einen Schritt weiter und sage: der größte Teil des Lebens findet einfach statt, ohne dass wir ihn beeinflussen. Die meisten Dinge in unserem wundervollen Körper passieren völlig ohne unser Zutun.
Unser Körper verfügt über ein im Hintergrund ablaufendes Betriebssystem, welches alle wichtigen Körperfunktionen automatisch steuert, ohne Korrektur durch den Verstand. Dieses System hat sich in der Evolution seit der Reptilienphase ausgebildet und immer mehr perfektioniert. Kein Teil des Körpers, der nicht von ihm kontrolliert wird. Schon ganz früh in der Embryonalzeit bildet es sich aus. Es funktioniert auch noch, wenn das Gehirn nicht aktiv ist wie im Schlaf oder wenn durch einen hirnorganischen Prozess der Verstand ausgeschaltet ist. Es besteht aus 2 gegensätzlichen Anteilen, dem Sympathikus und dem Parasympathikus, die alle Körperfunktionen sanft steuern, indem sie nach den inneren Bedürfnissen des Körpers alle Stoffwechselvorgänge regulieren. Dabei aktiviert der Sympathikus mehr, ist leistungsfördernd und der Parasympatikus ist eher beruhigend oder erholungsfördernd.
Alle lebenswichtigen Organtätigkeiten werden durch das vegetative Nervensystem gesteuert und es schafft optimale Anpassung an sich verändernde Umgebung oder Umweltbedingungen. Kreislauf, Atmung, Verdauung, aber auch die Tätigkeit von Drüsen für Hormone, oder Verdauungsenzyme, Ausscheidung von Darm und Blase, Schlaf, Fortpflanzung, die Entwicklung von Neugeborenen zum Erwachsenen, Temperatur, Aufrechterhaltung des inneren Milieus, Aufrechterhaltung eines optimalen pH-Wertes, Immunvorgänge, Blutfluss und vieles andere mehr werden hier automatisch gesteuert. Ständig findet ein Abgleich der Soll- und Ist-Parameter statt mit dem Ziel, Struktur und Funktion zu optimieren. Die Regulierung kann man sich grob vereinfacht wie bei einer Steuerung durch ein Heizungsventil vorstellen.
Alles was dem Überleben dient, wird vom Sympathikus versorgt, der den Körper leitungsbereit macht. Die Entspannung und Regeneration wird durch den Parasympathikus bereitgestellt im Sinne von Erholungsbereitschaft.
Der Sympathikus reagiert aber nicht nur bei realer aktueller Gefahr, sondern auch sinnvollerweise bei potentieller Gefahr. Ständig werden die einfallenden Informationen aus den Sinnesorganen mit alten Erfahrungen abgeglichen. So ist dieses System blitzschnell und reagiert lange bevor unser Verstand einsetzen kann.
In früheren Zeiten hatte derjenige die größten Überlebenschancen, der bereits bei einer Ahnung von Gefahr wachsam war und mit dieser Vorspannung achtsam durchs Leben ging. Deshalb sind wir mit diesem Programm ausgestattet.
Anatomisch läuft der Sympathikus als so genannter Grenzstrang vor der Wirbelsäule von Brust und Bauch und mit praktisch allen arteriellen Gefäßen. Die Aktivierung des Systems erfolgt über die Hirnrinde, Zwischenhirn (limbisches System) und produziert, Bereitschaft und Energieabbau für die notwendig anzupackende Tat.
Um uns dem Sympathikus vorzustellen, hilft folgendes Bild: hinter dir knackt es im Wald und im umdrehen siehst du, da steht ein wildes Tier (Löwe, Bär). Jetzt hängt die weitere Fortpflanzungsfähigkeit davon ab, dass der Sympathikus perfekt funktioniert.
Du kannst davon ausgehen, dass alle deine Vorfahren erfolgreich waren. Was du in so einer Situation zwingend brauchst ist ein richtig hoher Blutdruck, ein schnell und kräftig schlagendes Herz, damit deine Beine optimal durchblutet und die dort vorhandenen Muskelzellen dich ganz schnell in Sicherheit bringen können. Eine vertiefte und schnellere Atmung stellt den notwendigen Sauerstoff bereit. Gleichzeitig wird aus der Leber Glukose als Energieträger bereitgestellt, damit die Muskelzellen aus dem Zucker und dem Sauerstoff ihre Energie gewinnen können. Dies alles geschieht gleichzeitig und aufeinander abgestimmt.
Die Augen sind auf den rettenden Baum gerichtet und wir fangen an zu schwitzen, damit die Körpertemperatur konstant bleibt und unser Körper bei dieser Anstrengung nicht überhitzt.
Ein sehr erfolgreiches Programm. Gleichzeitig werden alle nicht dringend benötigten Systeme abgeschaltet. Für Stuhlgang, Blasenentleerung sowie Sexualität ist es definitiv der falsche Augenblick.
Wenn jetzt unser System ständig Gefahr signalisiert, diese aber nur im inneren Bild und nicht in der Realität vorhanden ist, führt das zu einer Erschöpfung der Reserven und zu Funktionsstörungen in den abgeschalteten Organsystemen.
Dieses System leistet sich keine Fehler, zu mindestens nicht bei all unseren Vorfahren und lässt sich auch mit dem Verstand nicht manipulieren. Und was noch wichtig ist, dieses System hat keinen AUS-knopf. Es reagiert in jedem Fall und nicht nur auf die reale Situation, sondern auch auf die inneren Bilder von Gefahr, denn wir stammen von den Vorsichtigen ab, die den Löwen schon im Vorfeld erahnt haben.
In dem Moment, wo wir in Sicherheit sind, ist es sinnvoll, dass das System abschaltet, weil der Körper auf Dauer eine solche Anstrengung nicht verkraften kann. Wir würden sonst alle unseres Reserven aufbrauchen.
Wenn der Sympathikus länger im Kampf oder auf der Flucht ist, muss der Körper reagieren bevor er nicht mehr in der Lage ist, die Anspannung weiter aufrecht zu erhalten. Jetzt setzt der Parasympatikus als Gegenspieler ein, um den Körper wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Wenn dieser Zustand länger anhalten würde, ohne in den Ruhemodus umzuschalten würde der Organismus erschöpfen und zusammenbrechen und irgendwann sterben.
Der Parasympatikus als Gegenspieler dient der Erholung und dem erneuten Energieaufbau.
Er senkt den Blutdruck, vermindert die Herzfrequenz und die Schlagkraft, verengt Pupille und Atemwege, erweitert die Hautgefäße, vermindert die Schweißsekretion und bringt damit den Organismus äußerlich auf Sparflamme um Energie zu sparen.
In diesem Modus kann sich der Körper mehr um die wichtigen inneren Dinge, nämlich die Verdauung der zugeführten Nährstoffe und die Produktion von Verdauungssäften kümmern. Die glatte Muskulatur des Darms entspannt sich, Insulin wird produziert, der Speichelfluss verstärkt sich, alles läuft auf Hochtouren, was dem Aufbau des Körpers dient. Die Arbeitsmuskulatur erschlafft durch Verengung ihrer Gefäße, damit tritt Entspannung ein. Diesen Effekt nutzen alle Entspannungstechniken vom Autogenen Training bis zur Meditation.
Das Gehirn geht auch in den Ruhemodus, die Pupille verengt sich, die Ausscheidung von Urin und Stuhlgang wird begünstigt die Sexualorgane können besser durchblutet und durchfeuchtet werden um ihre Fortpflanzungsaufgabe zu erfüllen.
Der Parasympathikus reagiert nicht so als Ganzes wieder Sympathikus der es sich in einer lebensbedrohlichen Situation nicht leisten kann sich um einzelne Organe zu kümmern. Der Parasympatikus arbeitet ökonomisch und aktiviert nur die Organe die gerade benötigt werden oder wichtig sind. Der größte Teil der parasympathischen Fasern läuft über den zehnten Hirnnerven den Nervus vagus. Die Kerngebiete des Parasympatikus liegen im Hirnstamm und in der Kreuzbeinregion. Stimuliert wird der Parasympatikus vom Hypothalamus und dem Hirnstamm.
Kommt der Körper nach der Sympathikusreaktion jedoch nicht zur Ruhe, und bleibt es bei einer weiteren Sympathikusaktivierung, kommt es zum Anstieg von Nebennierenrindenhormonen (Glukokortikoide wie Cortison) um vermehrt Zucker herzustellen und von Schilddrüsenhormonen um den Stoffwechsel zu steigern. Der Zucker wird dann aus Körpereiweißen gewonnen. Letztlich erschöpfen bei Dauerbelastung alle Körperreserven von Fett und Eiweiß durch die Stoffwechselsteigerung. Die damit verbundene Verbrennungswärme muss durch schwitzen über die vermehrte Hautdurchblutung abgegeben werden. Durch diesen Verbrauch verschwinden auch die Eiweiße, die notwendig sind für die Abwehrreserven.
Der Körper versucht durch die Umschaltung auf dem Parasympathikus für Erholung zu sorgen. Läuft jedoch des Sympathikus gleichzeitig weiter, wie bei nicht ausreichender Stressbewältigung kommt es zu einem Nebeneinander von unruhiger Aktivität und Erschöpfung. Gesundung in dieser Phase ist nur möglich, wenn beide Seiten zu ihrem Recht kommen. Eine heute gängige Diagnose nennt man neuhochdeutsch burn-out. Es ist jedoch nichts anderes, als mit guten Überlebensprogrammen durch Selbstausbeutung falsch umgegangen zu sein.
Aus dem vorher gesagten geht klar hervor: unser Körper verfügt ohne unseren Verstand über ein geniales Selbstregulationssystem. Dieses System läuft seit Millionen von Jahren automatisch ab, wird von Generation zu Generation weitervererbt und ist die Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Evolution.
Zusammenfassend kann man sagen, dass in der Entwicklung zum Menschen sich das vegetative Nervensystem so entwickelt hat, wie das größtmögliche Überleben gesichert wurde.
Unsere Selbstregulation trifft dann auf ihre Grenze, wenn durch äußere Umstände der freie Fluss im Körper gestört ist.
Was beeinflusst die Selbstregulation negativ?
Ganz einfach chronischer Stress durch nicht reale Angst, Wut, Zorn und Ohnmachtsgefühle ohne erkennbare Strategie zur Lösung des Konflikts. Zusätzlich wirken sich Einsamkeit, Depressionen Ängste und einer Opferhaltung ungünstig auf die Selbstregulation aus.
Positive Beeinflussung ist durch Stärkung der Widerstandskraft heute Neuhochdeutsch als Resilenz bezeichnet, was die Fähigkeit meint auf Stress und Herausforderungen sowie widrige Lebensumstände angemessen und flexibel zu reagieren und sich anschließend von dem Ereignis erfolgreich zu erholen.
Durch Übung (Training) verändern wir den Tonus des vegetativen Nervensystems und stärken den Parasympatikus, den Erholungsnerv und verbessern dadurch wieder die Selbstregulation.
Was ist eigentlich Stress? In der Umgangssprache verwenden wir dauernd das Wort Stress. Aber was ist das genau?
Stress bedeutet Anpassungsschwierigkeiten auf dauerhafte störende körperliche oder seelische Bedrohungen. Untersuchungen gehen davon aus, dass 75-80 % aller Hausarztbesuche als stressbedingt gelten. Stress führt bei Versuchstieren zu Magengeschwüren, Herzinfarkten und erhöhtem Blutdruck.
Stress ist für jeden unterschiedlich. Was für den einen maximalen Stress bedeutet, ist für einen anderen erfreulich bis lustvoll oder es findet sich gar keine Reaktion auf die Situation. Als Beispiel dafür möchte ich einfach nur anführen: in der Achterbahn fahren auf dem Jahrmarkt oder in der Geisterbahn, motorradfahren, Fallschirmspringen, Gleitschirmfliegen oder Paragleiten, mit über 200 auf der Autobahn riskant fahren oder der Gedanke an Schlangen und Spinnen. Für jeden ist die Reaktion etwas anders. Der eine erlebt es als wahnsinnige Freude und der andere wird bleich bei dem Gedanken. Was immer negativen Stress macht, ist das Gefühl keine Kontrolle über das Geschehen zu haben. Aber auch das kann man offensichtlich auch unterschiedlich wegstecken, denn zum Beispiel in Flugzeugen hat bekanntlich nur der Flugkapitän die Kontrolle.
Stress ist eine unvermeidliche Konsequenz des Lebens und löst Flucht- oder Kampfreflexe aus. Wenn wir aber nicht fliehen oder kämpfen können, müssen wir lernen das Geschehene zu ertragen oder hinzunehmen.
Wir wissen, dass Liebe, Dankbarkeit und Freude die Synchronisierung des Herzrhythmus und der Atmung balancieren und positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben, während Hetze, Ärger, Angst und Stress diese Rhythmen nachhaltig stören und negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
So werden Atemtechniken seit Jahrtausenden angewandt, um diesen positiven Zustand zu erreichen. In neuerer Zeit werden auch Achtsamkeitsübungen, sowie gelenkte Imaginationen mit Konzentration auf das Herz und die Atmung mit gleichzeitiger Aktivierung positiver liebevoller Reaktionen erforscht und empfohlen.
Um in unserer schnelllebigen Zeit mit potenziellen Bedrohungen, mit einer riesigen Informationsflut und dadurch einem überwiegen der sympathischen Aktivität gesund zu bleiben, bedarf es einer aktiven Beschäftigung mit dem Parasympathischen System. Durch die mittlerweile große Vielfalt an Verfahren meditativer, imaginativer, spiritueller Art und Konzentrative Bewegungsübungen kann jeder eine Methode auswählen die ihn begeistert, um Entspannung, Regeneration und Heilvorgänge zu erreichen.
Michael Schlaadt 01/18